Vom adligen und bürgerlichen Leben – Besuch zweier Museen in Wolfenbüttel

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Redaktioneller Artikel
Beate Ziehres
12. September 2021

Die Stadt Wolfenbüttel vereint zwei Museen unter ihrem Dach, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Rede ist vom Schloss Museum und vom Bürger Museum. Während das Schloss Museum Einblicke in das Leben und Treiben der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel gewährt, erzählt das Bürger Museum die Geschichte der Menschen, die rund um das Schloss gelebt haben und noch leben. Denn das Bürger Museum hat sich auch die Fortschreibung der Geschichte zur Aufgabe gemacht.

© Beate Ziehres für zeitORTE.de

Ich habe die beiden Museen an einem Vormittag besucht – und kann nur davon abraten, es mir nachzutun. Zumindest eine ausführliche Kaffeepause würde ich zwischen den Besuchen der beiden Museen empfehlen. Zu viel gibt es dort zu sehen, zu viel zu hören. Deshalb sollte ausreichend Zeit eingeplant werden.

Das Schloss Museum – eine barocke Parallelwelt

In der Antichambre des Schlosses Wolfenbüttel komme ich erstmals in Kontakt mit Herzog Anton Ulrich, der von der Wand auf mich herabblickt. Anton Ulrich hat das Schloss und die Stadt geprägt wie kein anderer. Er ließ die ehemalige Wasserburg Wolfenbüttel um 1700 mit einer Fachwerkfassade versehen und verwandelte sie in ein repräsentatives Schloss. Ihm hat Wolfenbüttel die weltbekannte Herzog-August-Bibliothek und die legendäre Schlossanlage Salzdahlum zu verdanken.

Mit mir ist Museumsleiterin Dr. Sandra Donner in diesem luxuriösen Empfangszimmer. Sie nimmt mich gewissermaßen bei der Hand und führt mich ein ins Leben im Zeitalter des Barock. „In diesen Raum wurde nur vorgelassen, wer eine Option hatte, mit dem Herzog zu sprechen“, erklärt zu mir und fügt mit einem schelmischen Lächeln hinzu: „Also wir Frauen schon mal nicht.“

Visite im Zentrum der Macht

Da bin ich ja froh, dass sich die Zeiten geändert haben. Auch weil mein Französisch wohl kaum ausgereicht hätte, um mit den Herrschaften zu parlieren. Dieses Vorzimmer und die restlichen Räume des herzoglichen Appartements hatten vor allem einen Zweck: Eindruck zu schinden.

Besonders deutlich wird dies in den beiden nächsten Räumen des Rundgangs durch das Schloss Museum. Wer das herzogliche Wartezimmer durchquert hat, steht im Audienzzimmer. Die rote Wandbespannung, der Thronsessel und das Deckengemälde, das den Sieg über Braunschweig zeigt, signalisieren dem Besucher sehr deutlich: Dies ist das Zentrum der Macht.

Devise des Barock: Mehr Schein als Sein

Ist da noch eine Steigerung möglich? Ich kenne die Antwort schon, denn seit einem früheren Besuch ist mir der nächste Raum besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben: das Paradeschlafzimmer. „Der Herzog hätte Könige im Morgenrock vor diesem Bett sitzend empfangen – die höchste Ehre, die einem Besucher damals zuteil werden konnte“, so Dr. Donner.

Diese Formulierung lässt schon vermuten: Es kam nie dazu. Das Paradeschlafzimmer wurde nämlich erst zwei Jahre vor Anton Ulrichs Tod fertig. In diesen zwei Jahren kam jedoch kein Besuch ins Schloss, der würdig gewesen wäre, hier empfangen zu werden. „Zu dieser Zeit gab es nur vier goldene Betten: in London, Paris, Berlin und Wolfenbüttel. Es war also etwas überkandidelt“, schmunzelt die Museumleiterin und erklärt die Devise des Barock: Mehr Schein als Sein. Unnötig zu erwähnen, dass Anton Ulrich ein Verehrer den Sonnenkönigs Ludwig XIV. war.

Von öffentlichen und privaten Schlafzimmern

Dem barocken Selbstverständnis folgend werden im Schloss mit einer Ausnahme nur offizielle Räume gezeigt. „Es ist ja so, dass zu dieser Zeit selbst das Schlafzimmer ein öffentlicher Raum war. Beim ersten Beischlaf nach der Hochzeit war an barocken Höfen beispielsweise der ganze Hofstaat anwesend“, erzählt Sandra Donner.

Um die einzige Ausnahme von der Regel zu sehen, marschiere ich bis zum anderen Ende des Flügels. Durch den Venussaal mit dem fulminanten, namensgebenden Deckengemälde erreiche ich das Herzoginnenappartement. Hier hatte zuerst Herzogin Elisabeth Juliane das Sagen, und nicht nur in diesen Räumen alleine. Fast 50 Jahre war Anton Ulrich mit dieser Frau verheiratet. Der Herzog hat sie als ebenbürtige Partnerin akzeptiert und ihren Rat gerne angenommen.

Darum gehört Fürstenberger Porzellan nach Wolfenbüttel

Mit diesem Wissen durchquere ich das Intarsien-Kabinett und das Speisezimmer. Hier ist der Tisch mit Fürstenberger Porzellan eingedeckt – ein absolutes Muss! Schließlich wurde die Porzellanmanufaktur im Schloss Wolfenbüttel gegründet. Heute ist Fürstenberger neben Meißener die zweite noch produzierende Porzellanmanufaktur in Deutschland.

Im Speisezimmer lerne ich auch Philippine-Charlotte von Preußen kennen, eine Schwester Friedrichs des Großen. Sie lebte bis zum Umzug des Hofs nach Braunschweig im Schloss Wolfenbüttel und begleitet mich gewissermaßen auf dem weiteren Weg durchs Herzoginnenappartement. Im Spielzimmer verbrachte die herzogliche Familie bei Austern und Champagner mit Trictrac die Abende.

Durch das Audienzzimmer erreiche ich – tataa – das Privatschlafzimmer von Philippine-Charlotte. Hier brachte die Herzogin mehr als 13 Kinder zur Welt, unter anderem Anna Amalia, die als Herzogin von Weimar den Weimarer Musenhof aufgebaut hat. Dr. Donner erklärt mir noch, anhand welcher Merkmale der private Bereich des Schlosses von öffentlichen Räumen zu unterscheiden ist. Dann geht es schon Richtung Treppenhaus.

50 Jahre währende Rekonstruktionsarbeiten

Nach dem 2. Weltkrieg hatte man sich bereits entschlossen, die herzoglichen Räume in ihren Zustand aus 1754 zurückzuversetzen. Erst im Jahr 2000 war die Rekonstruktion abgeschlossen. Das Ziel, den Besuchern eine barocke Parallelwelt zu präsentieren, war nicht einfach zu erreichen. Denn in der Zwischenzeit diente das Schloss unter anderem als Unterkunft für französische Revolutionsflüchtlinge, als Tapetenmanufaktur und als Mädchenschule. Und das barocke Mobiliar hatte der Hof beim Umzug mitgenommen nach Braunschweig.

Auf dem Weg zum Bürger Museum klingen mir noch Dr. Donners Worte in den Ohren: „Zu Anton Ulrichs Zeiten war Wolfenbüttel ohne Zweifel das kulturelle Zentrum Norddeutschlands. Doch des Herzogs Liebe zur Kultur hat den Untertanen große Schulden eingebracht“, hatte mir die Museumsleiterin erklärt. Deshalb bin ich nun gespannt auf die bürgerliche Seite der Medaille.

500 Jahre Geschichte – im Bürger Museum modern dargestellt

Das Bürger Museum ist in der ehemaligen Reithalle kasernierter Offiziere untergebracht und liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Herzog-August-Bibliothek und des Schlosses. Hinter der historischen Schale präsentiert sich das 2017 eröffnete Museum ganz modern.

Aber auch in diesen Räumen wurde Geschichte geschrieben, wenn auch jüngere als im Schloss. Das Gebäude wurde lange Zeit als Sporthalle genutzt und gilt als Geburtsort des Basketballs in Wolfenbüttel. 1972 und 1982 machten die Wolfenbütteler Basketballer als Pokalsieger von sich reden. „In dieser Halle wurden die Spieler ausgesucht und trainiert, die 1972 gewonnen haben“, empfängt mit Markus Gröchtemeier, kommissarischer Leiter des Bürger Museums, in der jüngeren Vergangenheit. Auch an die Zeit, als die ersten Boxkämpfe in dieser Halle stattgefunden haben, erinnern sich viele Wolfenbütteler.

Ehre auch für Lebende

So ist den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt das Bürger Museum sicherlich näher als das Schloss Museum. Hier sind sie eingeladen, ihren Beitrag zum Wachsen der Ausstellung zu leisten. Und das tun sie auch. „Zwei Tage nach der Eröffnung kam ein älterer Herr herein und beschwerte sich, dass man ihn vergessen habe. Es war Paul Köster, der in Wolfenbüttel nach dem Krieg den Sport in Gang gebracht hatte“, erinnert sich Gröchtemeier. Das Thema wurde Anlass für ein Schülerprojekt und Paul Köster kam zu verdienten Ehren.

Das Bürger Museum beheimatet auch ein Zeitungsarchiv, in dem sich jeder Bürger wiederfinden kann. Von der ersten Ausgabe der Wolfenbütteler Zeitung nach dem Krieg, erschienen im Jahr 1949, bis in die 1990er-Jahre wurde jede Zeitung gesammelt und feinsäuberlich abgeheftet. Das Nachschlagewerk hat seinen Platz auf der Empore gefunden – und ich meinen Lieblingsort. Stundenlang könnte ich hier oben sitzen und schmökern.

So kam Corona ins Bürger Museum

Das jüngste Projekt des Bürger Museums ist „Das Corona Ding“, ein zeitgenössisches Fotoprojekt von Yvonne Salzmann und Frank Schildener. Die Fotokünstlerin und der Fotograf waren in Wolfenbüttel unterwegs und sammelten pandemiespezifische Eindrücke. Dazu zählen beispielsweise Schlangen maskentragender Menschen vor Geschäften. „Sie haben Situationen festgehalten, die es so später hoffentlich nicht mehr geben wird“, sagt Markus Gröchtemeier. Außerdem gab es im Museum für die Dauer der Präsentation bis Ende August Aufnahmestationen, an denen die Besucher eigene Wortbeiträge zum Thema Corona aufzeichnen konnten.

Schicksale, wirtschaftliche Erfolge und Besonderheiten

In der Dauerausstellung führen sieben Themeninseln durch die wichtigsten Epochen von 500 Jahren Stadtgeschichte. Da geht es um Flucht und Vertreibung, die Verfolgung jüdischer Bürger, Erfindungen aus Wolfenbüttel und damit einhergehend die wirtschaftliche Entwicklung sowie um die Wasserwege in der Stadt.

Den Anfang der Ausstellung macht ein Modell, das Wolfenbüttel im Jahr 1747 zeigt – also wenige Jahre bevor das Haus Braunschweig-Wolfenbüttel seinen Sitz nach Braunschweig verlegte. Hier ist zu erkennen, dass Wolfenbüttel ausgerichtet ist auf das Schloss. Die Straßenzüge, die Wohnhäuser – sie wurden angelegt wie eine Choreografie mit einem Ziel: Eindruck zu machen auf die Besucher der Stadt. Ohne die Herzöge hätte Wolfenbüttel niemals die Bedeutung erreicht, die der Stadt Mitte des 18. Jahrhunderts zukam. Insofern sind die beiden unterschiedlichen Museen, die ich an diesem Tag kennengelernt habe, untrennbar miteinander verbunden.

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