St. Marienberg in Helmstedt: Ein Kloster macht sich fit für die Zukunft

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Sehenswertes
Beate Ziehres
24. April 2024

„Wir sind allesamt keine Bräute Christi, da wir verheiratet sein dürfen“, sagt Domina Mechtild von Veltheim. Im altehrwürdigen Kloster St. Marienberg in Helmstedt hat sie mit vielen Konventionen gebrochen. Seit der Neugründung des Konvents im Jahr 1989 treten die Konventualinnen ohne Kopfbedeckung vor den Herrn. An der Bezeichnung Domina hält Mechtild von Veltheim aber fest. „Domina ist doch viel klangvoller als Äbtissin, finden Sie nicht?“, schmunzelt sie.

© Beate Ziehres für zeitORTE.de

Mechtild von Veltheim hat mich im Büro des Konvents empfangen. Hier ist die Zentrale des klösterlichen Betriebs. Durch ein kleines Fenster zum Flur habe ich die schwere hölzerne Pforte des Klosters im Blick. Doch wann immer ich hier gesessen habe, war eigentlich keine Zeit, um das Kommen und Gehen auf den ausgetretenen Steinstufen zu beobachten. Immer gab es spannende Neuigkeiten. Und so ist es auch dieses Mal.

Zukunftspläne eines traditionsreichen Hauses

Das Kloster St. Marienberg hat ein Zukunftskonzept entwickelt, das unter anderem mit zwei Projekten auch den touristischen Bereich abdeckt. Der Konvent möchte die große Nachfrage nach Einkehrangeboten befriedigen, da es offensichtlich nicht genügend Angebote in Klöstern gibt.
 
Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte St. Marienberg erste Versuche unternommen und Tageseinkehr angeboten. Die Resonanz hat ermutigt. Deshalb sollen sechs Konventualinnen und die Domina nun eigene Wohnungen im Kloster bekommen. Zusätzlich sind Wohnungen für Einkehrgäste geplant. „Wenn man das geistliche Leben auf den Weg bringen will, müssen die Konventualinnen hier wohnen. Sie sind die Seele des Hauses und setzen alle Vorhaben um“, so Mechtild von Veltheim.

Neubau: Museum für textile Schätze

Das zweite Zukunftsprojekt des Klosters, das sich im Eigentum der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz befindet, ist ein Museum. Hier sollen wertvolle mittelalterliche Paramente aus der Schatzkammer des Klosters St. Marienberg zeitgemäß aufbewahrt und präsentiert werden. „Wir denken an einen Neubau an der östlichen Klostermauer. Das Museum soll das Tor zur Stadt hin werden“, erklärt Mechtild von Veltheim. Mehr kann sie noch nicht verraten, geschweige denn Pläne auf den Tisch legen. Es werden noch einige Jahre ins Land gehen, bis die Schatzkammer einziehen kann.
 
Dass der textile Schatz überhaupt gehoben und bewahrt wurde, ist der 4. Domina der Familie von Veltheim, Charlotte, zu verdanken. Sie entdeckte die christlichen Textilien bei ihrem Einzug ins  verfallene Kloster im Jahr 1862 in einem Versteck auf dem Dachboden. Die älteste dieser Kostbarkeiten von seltener Schönheit stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es ist das sogenannte Heininger Antependium.

So belebte Domina Charlotte von Veltheim die Paramentik wieder

Doch Charlotte sorgte nicht nur dafür, dass die Paramente für die Nachwelt erhalten blieben. „Sie erkannte den Wert der textilen Fundstücke für die Erneuerung und Belebung der christlichen Paramentik“, erklärt von Veltheim. Charlotte machte sich die mittelalterlichen Sticktechniken zu Eigen, installierte die Paramentenwerkstatt im Kloster und gründete gemeinsam mit ihrer Freundin Gräfin Anna von der Schulenburg den Niedersächsischen Paramentenverein. „Charlotte stickte bis zu ihrem Tod im Jahr 1911“, sagt Mechtild von Veltheim und holt ein Foto heraus, das Charlotte beim Handarbeiten zeigt.
 
Die Tradition der Paramentik liegt im Kloster St. Marienberg jedoch schon in den Anfangszeiten des Klosters begründet. Auf meinen Wunsch hin schwenkt Mechtild von Veltheim noch einmal zurück ins Jahr 1176. Damals wurde das Kloster als Augustiner-Chorfrauenstift gegründet.  „Auf die Initiative der Augustiner Chorfrauen gingen in Helmstedt eine Schule und ein Krankenhaus zurück. Und sie befassten sich schon mit der Paramentik“, sagt die Domina.

Paramentik soll Immaterielles Kulturerbe werden

Heute werde die Paramentik – ein einmaliges Kulturgut – ignoriert, wie ein Stiefkind behandelt, klagt Mechtild von Veltheim. Damit die Handwerkskunst der Paramentik die verdiente Aufmerksamkeit erhält, ist die Marienberger Vereinigung für evangelische Paramentik e. V. aktiv geworden. Der Zusammenschluss aller evangelischen Paramentenwerkstätten in Deutschland, der von Domina Clara von Veltheim gegründet wurde, hat bei der UNESCO die Anerkennung als Immaterielles Kulturerbe beantragt. Mechtild von Veltheim rechnet noch in diesem Jahr mit einer positiven Entscheidung.

Neuanfang im Kloster mit Mechtild von Veltheim

Ähnlich wie Charlotte, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts das verwaiste Kloster in Besitz nahm und wiederbelebte, ging es auch Mechtild von Veltheim mehr als 120 Jahre später. Sie trat 1984 auf Wunsch der Familie in den de facto ausgestorbenen Konvent ein. Ende November 1989 wurde sie als siebte Domina gemeinsam mit zwei weiteren Konventualinnen ins Amt eingeführt. Marga von Dewitz, die bis heute dem Konvent angehört, war eine von ihnen.
 
Die sechste Domina aus der Familie von Veltheim, Clara, hatte 1933 geheiratet und den Konvent verlassen. Seitdem waren die sechs Konventualinnen sich selbst überlassen. „Sie wollten auch keine neue Domina haben“, sagt Mechtild von Veltheim. Die letzte der Damen starb 1984.
 
„Mein Glück war, dass ich komplett neu anfangen durfte“, erinnert sich die Domina heute. Als Fotografin und Porzellanmalerin versteht sie sich selbst als Handwerkerin. „Ich hatte anfangs keine Ahnung von Verwaltung und Religion.“ Dafür legt sie Wert darauf, dass Entscheidungen innerhalb des Konvents auf Augenhöhe diskutiert und einstimmig beschlossen werden. „Von der Bereitschaft des Konvents hängt ganz viel ab. Eine Äbtissin ist ohne Konvent nichts“, weiß von Veltheim.

Dienerinnen Gottes statt Bräute Christi

Bei aller Modernität pflegt der Konvent auch bestimmte Traditionen. So sind die Kreuze der alten Konventualinnen erhalten geblieben. Bei feierlichen Anlässen tragen Marga von Dewitz, Inge Friedrich, Brigitta Küpper, Bärbel Weihe und Sibylle Wolff von der Sahl
diese alten Kreuze. Mechtild von Veltheim hält „im herausgeputzten Zustand“ – wie sie selbst sagt – das Kreuz von Charlotte und den Siegelring von Clara in Ehren. „Ihre Trachten haben die Nonnen mit ins Grab genommen“ und darüber scheint niemand hier traurig zu sein. Stattdessen tragen die Konventualinnen beispielsweise beim gemeinsamen Gottesdienst Talare. „Wenn man den Talar anzieht, ist man Dienerin Gottes, alles andere tritt zurück, auch die eigene Persönlichkeit. Man fühlt sich als Einheit“, beschreibt die Domina die Wirkung dieser besonderen Stücke.

Talare aus eigener Fertigung

Die Talare stammen – wie könnte es anders sein – aus der hauseigenen Paramentenwerkstatt. „Wir haben erst in den 1980er-Jahren angefangen, Damentalare zu entwerfen und herzustellen“, berichtet die Domina. Da ihr das Thema Paramentik ebenso wie ihren Vorgängerinnen sehr am Herzen liegt, statten wir der Paramentenwerkstatt nun einen Besuch ab.
 
Noch heute wird hier – auch – mit der Hand gestickt. Die Werkstatt beschäftigt eine Stickmeisterin, eine Gewandschneiderin und einige weitere Spezialistinnen. Qualifizierte Kräfte sind schwer zu finden, weshalb die Paramentenwerkstatt auf eigenen Nachwuchs setzt. Derzeit sucht die Einrichtung eine Auszubildende für die Handstickerei. Die Ausbildung zu Handstickerin dauert drei Jahre, zum Blockunterricht geht es nach Plauen in Sachsen. „Daneben setzen wir stark auf Weiterbildung. Wir schicken die Damen immer gerne zu Symposien oder nehmen Hochschulangebote wahr“, sagt Mechtild von Veltheim.

Bei meinem Besuch in der Werkstatt treffen wir Eugenia Onistschenko an. Sie ist Designerin, kommt aus der Modebranche und ist in der Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung zuständig für den Kundenkontakt sowie für die Entwicklung von Entwürfen und Konzepten. „Wir kombinieren jetzt Handstickerei mit Maschinenstickerei“, erklärt Eugenia Onistschenko und präsentiert eine Maschine. „Diese Stickmaschine haben wir seit einem Dreivierteljahr und es war schon eine Investition, die wir uns ohne großzügige Sponsoren nicht hätten leisten können“, ergänzt Mechtild von Veltheim. Im Handumdrehen entstehen mithilfe der Maschine unter anderem bestickte Taschentücher für stilbewusste Kunden, beispielsweise für den Johanniterorden.

Paramente im Webshop erhältlich

Beim Stöbern im Webshop der Paramentenwerkstatt auf https://www.parament.shop finde ich Mund-Nasen-Masken, die mit religiösen Symbolen bestickt sind, Taufkleider, Paramente und Stolen. Paramente im Webshop? Läuft das? „Ja“, bestätigt mir Mechtild von Veltheim, „Paramentik wird tatsächlich im Internet bestellt“. Wer hier auf Anhieb nicht das Richtige für den Warenkorb findet, klickt „Kontakt“ und erhält auf Wunsch Besuch von Eugenia Onistschenko. „Ich schaue mir die Kirche an und spreche mit der Gemeinde. Es ist wichtig, die Gemeinde mitzunehmen“, sagt die Designerin. Wie die Domina legt auch sie Wert auf Individualität im Altarraum.
 
Ein Paradebeispiel mit künstlerischem Anspruch ist in Leipzig zu sehen. Für die Universitätskirche fertigte die Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung Paramente in allen vier liturgischen Farben für jeweils zwei Altäre und dazu passend Pultbehänge. Die Entwürfe stammen von Günter Grohs, einem Glaskünstler aus Wernigerode.
 
Die Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung und Textil-Restaurierung beim Kloster St. Marienberg Helmstedt ist einer von mehr als 100 Zeitorten in der Region Braunschweig-Wolfsburg. Das Kloster, die Schatzkammer mit mittelalterlichen Paramenten und die Paramentenwerkstatt können nach individueller Terminvereinbarung besichtigt werden.
 
Kloster St. Marienberg
Klosterstraße 14
38350 Helmstedt
Telefon: 05351-6769
Email: klostermarienberg@gmx.de
https://www.kloster-marienberg.de
 


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