Schleuse Sülfeld: Industriekultur in Wolfsburg

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am Wasser
Beate Ziehres
04. Mai 2023

Technisches Denkmal im Wasser

Fast fühle ich mich wie am Meer. Der Wind pfeift kalt und Wolken jagen über den Himmel. Auch das Tuckern von Schiffsdieseln ist zu vernehmen. Doch ich befinde mich rund 200 Kilometer von der Ostsee entfernt – am Besucherparkplatz der Doppelschleuse Sülfeld in Wolfsburg.
© Beate Ziehres

Dass auf dem Mittellandkanal reger Verkehr herrscht, sei ein Glücksfall und etwas dem Wochentag – einem Dienstag – geschuldet, sagt Gästeführerin Anne Sollich. „Wenn die Schiffe am Montagfrüh in Hamburg losfahren, sind sie am Dienstag hier“, vermutet sie. Tatsächlich ist in Richtung Osten mehr los.
Wir betreten das Betriebsgelände der Schleuse Sülfeld an der Nordkammer. Dieser Teil der Schleuse wurde von 1934 bis 1937 gebaut und 1938 nach einem Jahr Probebetrieb freigegeben. Bei jedem Leser, der geschichtlich halbwegs Bescheid weiß, klingelt es nun. Es ist kein Zufall, dass die Grundsteinlegung für das Volkswagenwerk ebenfalls 1938 über die Bühne ging. „Der Mittellandkanal ist mit gut 320 Kilometern die längste und die einzige West-Ost-Wasserstraße Norddeutschlands. Er verbindet große Industriegebiete vom Rhein bis zur Elbe mit der Nordsee und stellt die Verbindung zu den osteuropäischen Wasserstraßen her“, sagt Anne Sollich.

Ingenieurskunst aus den 1930er-Jahren

Die Technik der alten, denkmalgeschützten Nordkammer fasziniert mich schon, bevor sie überhaupt in Aktion getreten ist. Die Schleusenkammer wird flankiert von sechs symmetrisch angelegten und höhenversetzten Sparbecken. Riesige Zylinder versperren die Verbindungen zwischen den Sparbecken und der Schleusenkammer. Ist der Wasserstand in der Schleusenkammer niedrig, so sind die Sparbecken gefüllt. Wenn die Schleusenkammer voll ist, befindet sich deutlich weniger Wasser in den Sparbecken. Der Wassertausch funktioniert nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren.

Während ich noch staune, fährt ein Schubverband in die Nordkammer ein. Hinter dem gewaltigen Wassergespann, bestehend aus dem Schubschiff Navigar-4 aus Szczecin in Polen und zwei Leichtern, schließt sich das Obertor. Da die Nordkammer nur über Nischenpoller verfügt, hat der Matrose hier alle Hände voll zu tun. Solange Wasserspiegel und Schiff sinken, muss er die Leinen immer wieder neu befestigen.

In Sülfeld geht’s auf Bergfahrt abwärts

Nach der Definition der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung befindet sich der Schubverband auf Bergfahrt, da er ostwärts in Richtung des Elbe-Havel-Kanals fährt. So ist es festgelegt. Tatsächlich wird er allerdings hinab geschleust.

Nach etwa 16 Minuten haben rund 24.000 Kubikmeter Wasser die Schleusenkammer verlassen, der Wasserstand ist um neun Meter gesunken. Damit liegt der Wasserspiegel auf der gleichen Höhe wie in der Osthaltung. Das Untertor – ein Hubtor – öffnet sich. Der Steuerstand des Schubschiffs ist inzwischen auf ein Stockwerk geschrumpft, damit die Durchfahrtshöhe von vier Metern eingehalten wird. Der Kapitän gibt Gas, das Schubschiff stößt eine Rauchwolke aus und der Schubverband fährt aus der Schleusenkammer hinaus.

Neubau für das Großmotorgüterschiff

In der Südkammer, dem neuen Teil der Schleusenanlage, herrscht ebenfalls lebhafter Betrieb, sofern man das Kommen und Gehen im gemächlichen Schiffsverkehr so nennen kann. Ich komme also in den Genuss, Ingenieurskunst aus den 1930er-Jahren und moderne Technik direkt nebeneinander in Aktion zu sehen. Denn die alte Südkammer, die baulich in einem schlechteren Zustand war als die Nordkammer, wurde 2003 abgebrochen.

An ihrer Stelle entstand bis 2008 eine neue Schleusenkammer, die dem Fortschritt im Schiffsbau gerecht wird. Mit einer Drempeltiefe von vier Metern ist sie ausreichend für sogenannte Großmotorgüterschiffe, die einen Tiefgang von bis zu 2,80 Metern haben.
 
Die Südkammer verfügt über zwei Sparbecken, die zusammen die Hälfte des zu bewegenden Kammervolumens aufnehmen können. Das übrige Wasser läuft beim Hinabschleusen immer in das Vorhafenbecken und wird durch vier Hochleistungspumpen wieder zurück ins obere Vorhafenbecken gepumpt.
 
Im Gegensatz zur Nordkammer erleichtern in der Südkammer Schwimmpoller, die sich mit dem Wasser nach oben und unten bewegen, die Arbeit der Matrosen.

Betrieb an 360 Tagen im Jahr rund um die Uhr

Gerade werden hier zwei Frachtschiffe um neun Meter angehoben. Die „Karl-Heinz“ aus Lauenburg verlässt als erstes die 225 Meter lange Schleusenkammer. Sie ist auf dem Weg nach Wittingen, um Braugerste zu laden. Nach der „Karl-Heinz“ passiert  die „Tine-B“ aus den Niederlanden das Obertor, ein Drehsegmenttor.

Ein Schleusenwärter ist weder an der Nordkammer noch an der Südkammer zu sehen. Beide Schleusen und der Verkehr werden vom neuen Leitstand an der Osthaltung der Südkammer gesteuert. Der Leitstand ist 24/7 besetzt, also rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche. Einzige Ausnahme: An Weihnachten und Neujahr ruht der Betrieb. „In absehbarer Zeit wird die Sülfelder Schleuse jedoch, wie andere kleinere Schleusen auch, von Hannover aus ferngesteuert werden“, weiß Anne Sollich.

Spannend: Eintauchen ins Leben auf dem Wasser

Während ich an den Schleusenkammern stehe und den Betrieb beobachte, darf ich für einige Minuten als Zuschauer am Leben auf dem Wasser teilhaben. Manche Schiffe scheinen reine Männerbetriebe zu sein, auf anderen leben Paare und sogar Familien mit Kindern. Vor dem Steuerstand der „Inversa“ aus Ijssel parken beispielsweise zwei Kinderfahrräder. Außerdem sind Trettraktor, ein Planschbecken und ein defektes Trampolin mit an Bord. Das Idyll an Deck erinnert an die Terrasse eines Einfamilienhauses – nur eben auf dem Wasser.
 
In der Schleusenkammer halten die stetige Bewegung, die vorbeiziehende Landschaft  und das gleichmäßige Tuckern der Motoren inne. Momente der Stille für die Schiffsbesatzungen. Und für mich fühlt sich der Aufenthalt an der Schleuse Sülfeld wie ein Ausflug in eine andere Welt an.

Die Schleuse Sülfeld kann rund um die Uhr auf eigene Faust besichtigt werden. Der Zugang erfolgt durch eine Tür nahe dem Besucherparkplatz bei Calberlah-Allerbüttel. Schleusenführungen sind zu regelmäßigen Terminen bei der Tourist-Information Wolfsburg oder hier (https://www.wolfsburg-erleben.de/event/schleusenfuehrung-suelfeld) online buchbar.
 
Kontakt:
Tourist-Information im Wolfsburg Store
Willy-Brandt-Platz 4
38440 Wolfsburg
05361 89993-0
tourist@wolfsburg.de
Montag bis Samstag: 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Sonntags: 10:00 Uhr bis 15:00 Uhr

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