Museum Mechanischer Musikinstrumente – von mechanischen Sängern, Spieldosen und anderen Wunderwerken der Technik

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Redaktioneller Artikel
Beate Ziehres
17. Mai 2020

Ihre Ohren werden Augen machen!“, verspricht der Katalog des Museums Mechanischer Musikinstrumente (MMM) in Königslutter am Elm. Entsprechend gespannt bin ich auf das Museum, das in unmittelbarer Nachbarschaft des Kaiserdoms untergebracht ist. Am Ende stelle fest: Das Papier verspricht mir nicht zu viel. Während des Rundgangs darf ich abtauchen in die Klangwelten der guten alten Zeit!
© Beate Ziehres für zeitORTE.de

Britta Edelmann, Leiterin des Museums, begleitet mich durch die Ausstellung. Hin und wieder lässt sie eines der Instrumente erklingen und ich staune Bauklötze. Zum Beispiel über den Klang einer Musikspieldose aus der Werkstatt der Nicole Frères in Genf.

Der schlichte Holzkasten aus der Zeit um 1850 sieht neben einem mit bunten Libellen und Blümchen verzierten Exponat eher unscheinbar aus. Doch als Britta Edelmann die Spieldose mit dem seitlich aufsteckbaren Schlüssel aufzieht, spielt sie wunderschön. Sie klingt viel voller, als ich es von einer Spieluhr je erwartet hätte.

„Die Perfektion dieses Uhrwerks ist einzigartig. Das ist die wertvollste Spieldose in unserer Sammlung und sie hat den besten Klang. Ein echtes Highlight!“

berichtet Britta Edelmann.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig gehört habe und frage noch einmal nach, ob Britta Edelmann tatsächlich von einem Uhrwerk gesprochen hat. Sie hat:

„Teure Schweizer Uhrenmarken gründen oft auf Firmen, die Spieluhren hergestellt haben. Es gibt auch heute noch Walzenmacher. Im 19. Jahrhundert waren Musikspieldosen groß in Mode. In den Salons der Gründerzeit gehörten überreich verzierte künstliche Vogelkäfige mit beweglichen Vögeln und Spieluhren im Inneren zum guten Ton.“ Britta Edelmann

Museum nach der Corona-Pause wiedereröffnet

Das Museum Mechanischer Musikinstrumente hat nach der durch das Corona-Virus bedingten Schließung wieder geöffnet.

Die Besucher werden in Kleinstgruppen von jeweils einem Mitarbeiter durch die Ausstellung begleitet. Wie immer im MMM gilt auch jetzt das strikte Gebot, nichts anzufassen und Abstand zu den Instrumenten zu halten, denn die Instrumente können nicht desinfiziert werden. Das Museum hält für die Besucher Masken zu einem geringen Preis und Desinfektionsmittel bereit.

Spielwerke aller Art

Den Spieluhren gilt die erste Abteilung der Ausstellung im MMM. Sie wurden im Miniformat hergestellt und beispielsweise in Schlüsselanhänger, Schmuckstücke und Taschenuhren eingebaut. So ist es nicht verwunderlich, dass ein solches Spielwerk das kleinste Instrument in der Sammlung des Museums ist.

Doch Britta Edelmann kann noch mehr über die Spieluhren erzählen. Beispielsweise über die ersten  Spieluhren, die hergestellt wurden.

„Die ältesten Spieluhren sind Flötenspielwerke, sogenannte Vogelorgeln. Damit versuchten die Vogelhändler im Rokoko – etwa ab 1720 – Zeisigen und Dompfaffen schöne Lieder beizubringen. Das hat tatsächlich funktioniert. Im Rokoko zähmte man die Natur und legte beispielsweise französische Gärten an. Dazu passte auch, die Vögel das Singen zu lehren.“ Britta Edelmann

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Spieluhren zu einem Massenphänomen. Plattenspielwerke hielten auch Einzug in die Wohnstuben der weniger Betuchten. Sie wurden sogar für Kinder angeboten.

Große, prächtig anzuschauende Plattenspielwerke waren auch die ersten allgemein zugänglichen „Unterhaltungskünstler“ im öffentlichen Raum. Sie standen in Gastwirtschaften und wurden durch Münzeinwurf zum Leben erweckt.

Geschichte des Museums Mechanischer Musikinstrumente

Doch wie kommen die Erzeugnisse aus Schweizer, Schwarzwälder und amerikanischen Werkstätten nach Königslutter?

„Tatsächlich kommt kein einziges Instrument aus Königslutter. Wir verdanken die Sammlung Jens Carlson, einem Braunschweiger. Im Jahr 2002 konnten die Stadt Königslutter, der Landkreis Helmstedt und die Kulturstiftung des Bundes zwei Drittel seiner Privatsammlung kaufen. Die rund 350 mechanischen Musikinstrumente wurden Grundstock des Museums, das schließlich im Jahr 2005 eröffnete. Das Museum Mechanischer Musikinstrumente in Königslutter ist eine der größten Sammlungen dieser Art in Deutschland.“ Britta Edelmann

Für rund 250 Jahre prägten mechanische Musikinstrumente das musikalische Geschehen in Vergnügungsetablissements, auf Jahrmärkten und auf den Straßen der Städte. Drehorgeln, Grammophone und Spieluhren sind die bekanntesten Vertreter.

Auf meinem Gang durch die Ausstellung entdecke ich darüber hinaus weitere beeindruckende Instrumente. Selbstspielende Klaviere gehören dazu, ein sogenannter Reproduktionsflügel, mehrere Harmonien und eine Stummfilmorgel. Viele dieser Instrumente beginnen zu musizieren, sobald ihnen über Pedale Luft zugeführt wird. Das vielfältigste Instrument dürfte die Stummfilmorgel sein.

"Mit Hilfe des Stummfilm-Orchestrions wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts Stummfilme mit passender Musik, Pferdegetrappel oder Straßenbahnklingeln unterlegt. Und zwar live! Vom Spieler des Instruments verlangt die Technik volle Konzentration. Denn wer will schon fröhliche Musik hören, während auf der Leinwand ein Mord geschieht?"

fragt Britta Edelmann

Technische Wunderwerke ersetzen Orchester

Damit nähern wir uns dem letzten Kapitel in der Entwicklungsgeschichte mechanischer Musikinstrumente, den Orchestrien. Sie sind wahre technische Wunderwerke. Diese Musikautomaten ersetzen mühelos ein ganzes Orchester.

Hier finden wir auch das Prachtstück der Ausstellung: eine Karussellorgel. Das drei mal vier Meter große Orchestrion ist auch das größte Exponat des Museums Mechanischer Musikinstrumente. Ich bin entzückt.

Doch dann entdecke ich ganz zum Schluss des chronologisch aufgebauten Rundgangs mein absolutes Lieblingsexponat. Es ist das Einmann-Orchester Tino Rossi. Der Musikautomat mit dem charmant lächelnden Gesicht wurde 1928 in Frankreich gebaut. Er beherrscht alle Instrumente, die notwendig sind, um richtig gute Musik zu machen und hat ein lebendiges Vorbild: den berühmten Sänger und Entertainer Tino Rossi.

Laut Katalog dreht der sogenannte Android während des Spiels den Kopf und blickt freundlich in die Runde. Leider kann die Museumsleiterin Tino Rossi nicht spielen lassen, weil der Automat defekt ist.

„Die Restaurierung kostet sehr viel Geld. Dieses Jahr wissen wir nicht, woher wir dieses Geld nehmen sollen.“ Britta Edelmann

Glücklicherweise gibt es auf der Webseite der Königslutteraner Museen eine absolut hörenswerte Aufzeichnung (https://www.museen-koenigslutter.de/tino.html) des Musikautomaten – ein kleines Trostpflaster gewissermaßen. Und dieses macht richtig gute Laune. Der Ohrwurm begleitet mich, seit ich angefangen habe, diesen Text zu schreiben.

Mit dem charmanten Tino geht die Zeit der rein mechanischen Musikinstrumente zu Ende.

„Der Automat das jüngste Exponat aus der Epoche, die unser Museum abbildet."

schließt die Museumsleiterin ab.

Mir ist wichtig, dass sich die Leute hier wohlfühlen. Alles sieht aus wie immer. Wir wollen das Gefühl vermitteln, dass alles normal ist.

sagt Britta Edelmann.

Während der Zwangspause hat das Team um Britta Edelmann beispielsweise einen kleinen Blogbereich auf der Webseite (www.museen-koenigslutter.de/news)  angelegt, um die Besucher auf dem Laufenden zu halten. Parallel ist eine neue Webseite in Arbeit. Das Museum Mechanischer Musikinstrumente in Königslutter ist einer von mehr als 100 zeitORTEn in der Region Braunschweig-Wolfsburg.

Das Museum Mechanischer Musikinstrumente hat geöffnet von Dienstag bis Sonntag jeweils von 11.00 bis 17.00 Uhr.

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